Schwenken mit AF-Kameras ist keine gute Idee

1. Mai 2006, 11:00:12 Uhr:

(Update vom 11.05.2006)
(Update vom 16.04.2008)

Viele Autofokus-Kameras besitzen nicht nur einen einzelnen AF-Sensor, sondern mehrere, die über das Sucherbild verteilt sind. Der zentrale Sensor hat dabei oft eine höhere Empfindlichkeit, ist größer oder auf andere Weise besonders ausgestattet. Deshalb wählen viele Benutzer dieser Kameras nicht einen Sensor am Rand aus, wenn das Hauptmotiv nicht in der Mitte des Bildes liegt. Stattdessen verwenden sie folgende Methode:

  1. Zentralen Sensor auswählen
  2. Mit dem zentralen Sensor auf das Hauptmotiv scharfstellen
  3. Mit blockiertem Autofokus schwenken
  4. Auslösen

Das Ergebnis ist oft, dass das Hauptmotiv leicht unscharf ist, und die Kamera wird als der Schuldige ausgemacht. Dieses Fokusproblem ist aber eine direkte Folge des Schwenkens und ist kein Fehler der Kamera. Hier eine Skizze der Situation:

Die Kamera befindet sich am unteren Rand der Skizze. Sie wird zuerst auf den Punkt A scharfgestellt. Nachdem der Autofokus scharfgestellt hat, ist alles auf der Fokusebene, die Punkt A berührt, im Fokus (rechte blaue Linie). Dann schwenkt der Fotograf mit gespeicherter Schärfe so, dass die Kamera nun auf Punkt B zeigt. Die Fokusentfernung ändert sich dabei nicht, denn der Autofokus ist blockiert. Danach ist alles scharf, was sich auf der Fokusebene befindet, die Punkt B berührt (linke blaue Linie). Nun ist aber Punkt A nicht mehr auf der gleichen Fokusebene. Die Fokusebene, die für Punkt A richtig wäre, ist näher an der Kamera (durchgezogene schwarze Linie). Der Betrag der Fehlfokusierung ist d (rote Linie), und er wird größer je weiter man schwenkt. Es sieht so aus als ob die Kamera ein „Backfokus”-Problem hat. Es sieht auch so aus, als ob das Problem mit Weitwinkelobjektiven größer ist als mit Teleobjektiven. Diese Art von Fokusproblem ist jedoch ein Benutzerfehler, kein Kamerafehler, und Weitwinkelobjektive geben dem Benutzer lediglich mehr Möglichkeiten, diesen Fehler zu machen als Teleobjektive (denn man kann weiter schwenken, bevor das Hauptmotiv aus dem Bild verschwindet).

Es gibt auch ein sekundäres Problem mit weitem Schwenken. Die obigen Kameras stützen sich bei der (Blitz-)Belichtungsmessung auch oft auf den ausgewählten AF-Sensor, in der Annahme, dass er über dem Hauptmotiv liegt. Die Messzellen um diesen AF-Sensor werden dann bei der Messung stärker einbezogen als die anderen Messzellen. Wenn man aber weit schwenkt, dann zeigt der ausgewählte Sensor nicht mehr auf das Hauptmotiv, und das kann am Ende eine falsche (Blitz-)Belichtung ergeben.

Die Lektion, die es hierbei zu lernen gibt, ist, dass man immer den AF-Sensor auswählen sollte, der dem Hauptmotiv am nächsten liegt, selbst wenn dieser Sensor eine schwächere Leistung hat als der zentrale Sensor. Weites Schwenken sollte so weit wie möglich vermieden werden, damit die Schärfe und die Belichtung stimmt.


Update vom 11.05.2006

Ich habe einige Zuschriften über diesen Artikel bekommen und Kommentare dazu in Foren gelesen. Darin wurde manchmal bezweifelt, dass das Problem überhaupt exisitiert bzw. vermutet, dass die Fokusabweichung so klein sei, dass man sie nicht sieht. Deshalb hier ein paar Zahlen:

Angenommen, man verwendet ein 50/1.4 (nicht gerade ein exotisches Objektiv) an einer 35-mm-Kamera, dann hat man einen horizontalen Bildwinkel von ca. 40°. Man wird also horizontal maximal 20° schwenken. Bei einer Aufnahmeentfernung von z.B. 5 m erzeugt so ein Schwenk eine Fokusabweichung von immerhin 30 cm. Der Fokus liegt also nach dem Schwenken 30 cm hinter Punkt A. Der Schärfentiefebereich zur Kamera hin ist dabei ca. 39 cm, also nur wenig größer. Ein solcher Fokusfehler ist bereits sichtbar. Wenn die Aufnahmeentfernung etwas kürzer ist, z.B. 2 m, dann ist der Fokusfehler 12 cm, aber die Schärfentiefe zur Kamera hin ist nur 6.5 cm. Hier ist der Fokusfehler fast doppelt so groß wie die Schärfentiefe.

Für die Interessierten hier die Formel zur Berechnung des Fokusfehlers:

d = a - a · cos α
mit
d
Fokusfehler
a
Entfernung zu Punkt A (= Entfernung zu Punkt B)
α
Schwenkwinkel

Die Schärfentiefe kann man z.B. hier ausrechnen (dabei aber beachten, nur mit dem Bereich zur Kamera hin zu vergleichen, also der Differenz zwischen Nahgrenze der Schärfentiefe und der Aufnahmeentfernung).


Update vom 16. April 2008

Die folgende Frage ist aufgetaucht: Wenn man die Kamera vor das Auge hält und schwenkt, dann ist die Drehachse der Hals, ist also hinter der Bildebene. Verbessert das die Situation, oder wird alles nur schlimmer?

Es kommt darauf an, was man als den feststehenden Teil des Szenarios ansieht. Wenn man die Fokusentfernung konstant hält, dann ist a unverändert, aber der Abstand zwischen der Drehachse und A ist größer als a. Die folgende Skizze zeigt einen Vergleich:

Die Rotation versetzt nun auch die Bildebene, und die Verschiebung der Bildebene kommt zur Verschiebung der Fokusebene noch hinzu (beim Schwenken bleibt die Fokusentfernung ja immer noch unverändert). Mit anderen Worten, in dieser Situation ist der Fokusfehler sogar noch größer als in der ursprünglichen Situation (vergleiche d und d'). Aber da die Entfernung zwischen Drehachse und Bildebene kurz ist im Vergleich zur Fokusentfernung, ist der zusätzliche Fehler ebenfalls gering.

Wenn man die Entfernung zwischen Kopf und Motiv als den konstanten Teil ansieht, wenn man also die Kamera auf das Motiv zubewegt und die Fokusentfernung entsprechend reduziert, dann ändert sich nichts. Man kann sich die ursprüngliche Skizze anschauen und sich die Kamera lediglich näher an A und B vorstellen. Die Fokusebene vor dem Schwenken ist die gleiche (schließlich stellt man immer noch auf das Motiv scharf), und auch die Fokusebene nach dem Schwenken ist dort wo sie oben eingezeichnet ist (die ursprüngliche Fokusentfernung wurde reduziert, aber die zusätzliche Verschiebung der Bildebene gleicht das wieder aus). Der Gesamtfehler ist unverändert.

Wenn also die Drehachse hinter der Kamera liegt, dann ist der Fokusfehler unverändert oder größer, aber nicht kleiner.