Perspektive (3)
Zoomen mit den Füßen, Verzerrung und Verzeichnung
January 1st, 2002 - 12:00:02 AM:
„Teleperspektive”, „Weitwinkelperspektive”, „Zoomen mit den Füßen”
Die vorhergehenden Abschnitte haben es hoffentlich deutlich gemacht: So etwas wie eine „Teleperspektive” gibt es nicht, bestenfalls eine „weit-weg-Perspektive”. Ebenso ist eine „Weitwinkelperspektive” bestenfalls eine „nah-dran-Perspektive”. Der Begriff „Zoomen mit den Füßen” ist völliger Unsinn, denn Zoomen verändert ausschließlich den Bildwinkel, während Laufen ausschließlich die Perspektive ändert.
Froschperspektive, Vogelperspektive
Diese beiden Begriffe sind dagegen korrekt. Eine „Froschperspektive” beschreibt einen niedrigen Kamerastandpunkt und eine große Nähe, also etwas, was tatsächlich die Perspektive bestimmt. Eine „Vogelperspektive” beschreibt einen hohen Kamerastandpunkt und große Entfernung, was wieder beides die Perspektive beeinflusst.
Einschub: Portraits
Oft wird gesagt, dass Brennweiten zwischen 80 und 130 mm sehr gut geeignet sind für Portraits, und dass kürzere Brennweiten die Nase eines Modells zu groß erscheinen lassen. Hier werden leider wieder verschiedene Dinge vermischt. Ob eine Nase groß oder klein erscheint, hängt wieder ausschließlich davon ab, ob der Betrachter der Nase relativ nah ist im Vergleich zum restlichen Gesicht. Mit einem größeren Aufnahmeabstand erscheint die Nase nicht mehr betont sondern „normal” groß. Bei einem Kopfportrait sorgen dann die genannten Brennweiten dafür, dass der Kopf bildfüllend abgebildet wird. Man kann aber aus dem gleichen Abstand ein Hüftportrait oder Ganzkörperportrait mit wesentlich kürzeren Brennweiten anfertigen, ohne dass die Nase plötzlich wieder „größer” würde. Gruppenportraits mit Weitwinkelobjektiven sind nichts ungewöhnliches, und keiner der Fotografierten wird plötzlich als „Zwerg Nase” abgebildet.
Einschub: Verzerrung und Verzeichnung
Besonders bei Weitwinkelobjektiven werden oft zwei verschieden Dinge verwechselt, nämlich Verzerrung und Verzeichnung. Im englischen Sprachgebrauch gibt es dafür nicht einmal verschiedene Worte!
Verzeichnung ist die Fähigkeit (bzw. Unfähigkeit) eines Objektives, gerade Linien der Realität auch als gerade Linien auf dem Film abzubilden. Wenn der gerade Horizont auf dem Bild wie ein Hügel erscheint oder „durchhängt”, dann ist das Verzeichnung. Sie ändert sich bei Zoom-Objektiven oft mit der eingestellten Brennweite, und sie ist oft in unterschiedlichen Bereichen des Bildes unterschiedlich ausgeprägt. Mit einer aufwendigeren Konstruktion des Objektivs lässt sich die Verzeichnung reduzieren.
Verzerrung ist dagegen durch noch so aufwendige Objektive nicht zu vermeiden. Verzerrung ist eine Folge der Perspektive. Beispiele sind Bahnlinien und Straßen, die in der Entfernung zusammenlaufen, oder ein Wolkenkratzer, der in der Höhe immer schmaler wird. Diesen Effekt kann man leicht erklären, wenn man sich vor Augen führt, dass die nahen Teile der Straße oder des Wolkenkratzers wesentlich näher am Betrachter sind als die weit entfernten und damit auch wesentlich größer erscheinen. Den Wolkenkratzer kann man nur dadurch „gerader” abbilden, dass man ihn aus weiter Entfernung aufnimmt. Alle Teile des Gebäudes sind dann etwa gleich weit vom Betrachter entfernt, und die Perspektive ist weniger extrem.
Ausnutzen der Perspektive
Wie lassen sich diese Erkenntnisse nun praktisch nutzen? Man sollte sich immer bewusst sein, dass die Perspektive mit den stärksten Einfluss auf die Wirkung eines Bildes hat, und dass sie sich nur durch den Kamerastandpunkt verändern lässt. Zoomobjektive verführen oft dazu, an der erstbesten Stelle stehenzubleiben und bestenfalls noch den Bildausschnitt zu verändern. Man verschenkt damit einen Großteil der Gestaltungsmöglichkeiten.
Man sollte sich also vor der Aufnahme überlegen, welche Perspektive man erreichen möchte. Es lohnt sich oft, eine Szene ohne Verwendung der Kamera „abzulaufen”. Der leere Diarahmen kann wieder die verschiedenen Bildausschnitte simulieren (Rahmen vors Auge = Weitwinkel, Rahmen auf Armlänge = Tele). Erst wenn die Perspektive klar ist, sollte man mit Kamera und Objektiv den gewünschten Bildausschnitt suchen. Variationen von Perspektive und Bildausschnitt führen oft zu unerwarteten und interessanten Bildeindrücken. Wenn man dabei weiß, welche Parameter und Hilfsmittel die verschiedenen Aspekte eines Bildes beeinflussen, kann das nur hilfreich sein.
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